Digitalisierung (E2)

Wie verändert die digitale Transformation Unternehmen und Gesellschaft

Andy Weeger

Neu-Ulm University of Applied Sciences

15. August 2025

Motivation

Wir sind längst in einer digitalisierten Welt angekommen. Die Digitalisierung betrifft nicht mehr nur klassische IT-Unternehmen, sondern Unternehmen quer durch sämtliche Branchen und Sektoren. Neue oder veränderte Geschäftsmodelle entstehen: Autos werden per App geteilt, Sprachen werden online gelernt und Musik wird gestreamt. Aber auch die Industrie wandelt sich: 3D-Drucker stellen Maschinenteile her, Roboter bauen diese zusammen, und ganze Fabriken sind intelligent miteinander vernetzt.
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) 2020

Lernergebnisse 🎯

Nach dieser Einheit können Sie

  • die wesentlichen Eigenschaften des digitalen Zeitalters beschreiben,
  • Herausforderungen mittels des Konzepts VUCA nennen,
  • zeigen, in welchen Ebenen Vernetzung vorangetrieben wird und welche konkreten Effekte damit verbunden sind,
  • die prägenden Gesetzmäßigkeiten des digitalen Zeitalters erläutern,
  • erklären, was man unter dem Begriff digitale Transformation versteht und welche Ziele diese verfolgt und
  • anhand der Methode Design Thinking erläutern, welche Art von Werkzeugen benötigt werden.

Digitales Zeitalter

Ich habe früher dazu einmal „Neuland“ gesagt. Das hat mir einen großen Shitstorm eingebracht. Deshalb will ich das jetzt nicht einfach wiederholen. Jedenfalls ist es aber in gewisser Weise noch nicht durchschrittenes Terrain. […] Das Ganze ist im Grunde eine revolutionäre Phase.
Angela Merkel, ehemalige Bundeskanzlerin (2018)

Definition

Als das Digitale Zeitalter wird der Zeitabschnitt verstanden, in dem Informationen wesentlich sind und der maßgeblich durch Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt ist.

Das Adjektiv digital beschreibt, wie Informationen repräsentiert, gespeichert, verarbeitet und übertragen werden (mithilfe von diskreten elektronischen Signalen).

  • Die Wertschöpfung von Unternehmen ist maßgeblich bestimmt von digitalen Daten (Verarbeitung, Übertragung, Nutzung).
  • Es gibt kaum Bereiche der Arbeits- und Lebenswelt (Prozesse, Produkte und Dienstleistungen), die nicht von IT bestimmt sind.
  • IT schafft weitreichende soziale und wirtschaftliche Netzwerke.
  • Es lösen sich bislang geltende Grenzen von Raum und Zeit zunehmend auf.

Evolutionsstufen

Abbildung 1: Evolutionsstufen des digitalen Zeitalters nach Lemke & Brenner (2015)

Mechanismen

Der rasante technische Fortschritt und dessen Konsequenzen formen das digitale Zeitalter. Beide lassen sich anhand von vier Gesetzmäßigkeiten veranschaulichen.

Moore’s Law

Die Leistung in der digitalen Hardware wächst exponentiell

Das Moorsche „Gesetz“ besagt, dass sich bei gleichem Preis die Komplexität integrierter Schaltkreise und damit die Leistungsfähigkeit der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) alle 18 Monate verdoppelt (Moore et al., 1965).

Es sind also regelmäßige Leistungsschübe und damit die Voraussetzung für Innovationssprünge zu erwarten.

Gilder’s Law

Die Übertragungsleistung digitaler Netze wächst exponentiell

Das Gildersche „Gesetz“ besagt, dass sich die Bandbreite der Datenübertragung mindestens dreimal schneller als die Leistungsfähigkeit der Computer erhöht (Gilder, 2000).

Die Verfügbarkeit von Daten und die notwendige Bandbreite zur Übertragung beeinflussen sich wechselseitig — sind mehr Daten verfügbar, wird eine höhere Bandbreite benötigt, ist eine höhere Bandbreite verfügbar, werden mehr Daten übertragen.

Metcalfe’s Law

Ab einer bestimmten Größe eines Netzwerks übersteigt der Nutzen die Kosten

Das Metcalfesches „Gesetz“ besagt, dass der Wert eines Netzwerkes in etwa im Quadrat mit der Anzahl seiner verbundenen Nutzer steigt (Lemke et al., 2017a) 1.

Die Faustregel geht davon aus, dass der Nutzen des Netzwerkes proportional zur Anzahl der möglichen Verbindungen zwischen den Teilnehmern wächst, während die Kosten nur proportional zur Anzahl der Knoten selbst wachsen.

Dadurch lässt sich erklären, weshalb heute in der Regel nur wenige, sehr große Netzwerke erfolgreich sind (bspw. WhatsApp).

Code is Law

Technologie bestimmt wie Freiheit und Rechte definiert werden

Weil digitale Technologien immer stärker unsere Lebens- und Alltagswelt prägen, können diese zunehmend über Rechte und Freiheit bestimmen.

Der Begriff „Code is Law“ besagt, dass im Programmcode festgelegte Regeln eine quasi-gesetzgeberische Macht haben (Lessig, 2009).

Diese Regeln werden oft implizit und beiläufig festgeschrieben und eben nicht im Parlament diskutiert. Es wird deshalb von Vielen eine stärkere Rolle des Staates bei der Regulierung des Internets gefordert, um zumindest verfassungsrechtlichen Grundrechte zu schützen.

Digitale Transformation

„It‘s too late, all of the technology has changed and our competitors have leapfrogged us.“ Dilbert, American comic strip written and illustrated by Scott Adams

Die prägenden Mechanismen des digitalen Zeitalters führen in großer Geschwindigkeit zu weitreichenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft.

Definition

Der Begriff digitale Transformation fasst die transformatorische Wirkung der Digitalisierung auf soziale, politische, wirtschaftliche und ökologische Systeme zusammen—der Wandel zur digitalen Wirtschaft und Gesellschaft.

Digitale Transformation steht auch als Überbegriff für eine Ansammlung von unternehmerischen Fähigkeiten, Methoden und Tools und deren organisatorische Einbindung zum Verstehen und Gestalten dieses Umbruchs (Lemke et al., 2017a).

In der Wirtschaft beschreibt digitale Transformation einen organisatorischen Veränderungsprozess, bei dem digitale Technologien eingesetzt werden, um radikale Veränderungen im Unternehmen zu bewirken.

Stufen

Die Reichweite der von digitalen Technologien ausgehenden Veränderungen auf Unternehmen kann in fünf Stufen beschrieben werden. Für die digitale Transformation stehen zumeist die Stufen 3 bis 5 im Fokus.

  • Lokale Unterstützung — Einführung von Anwendungssysteme für einen Bereich
  • Unternehmensweite Integration — Zusammenführung von Daten verschiedener Anwendungssysteme (siehe Datenintegration); Abläufe und Aufgabenverteilung bleiben weitgehend erhalten.
  • Reorganisation von Kernprozessen — Neugestaltung der für die Wettbewerbsposition entscheidenden Prozesse
  • Veränderung von Arbeitsteilung und Zusammenarbeit — Neugestaltung die Zusammenarbeit von Unternehmen in Lieferketten
  • Innovation von Geschäftsmodellen — Einführung neuer Produkte, Dienstleistungen und/oder Erlösmodellen

Kennzeichen

Ortsunabhängigkeit

Durch leistungsfähige Funknetze, mobile Endgeräte und entsprechender Software lösen sich nach und nach Grenzen auf — zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten zu sein ist immer weniger wichtig.

Mobile Endgeräte (Smartphones, Tablets, Wearables) und Technologien wie mobiles Internet (5G) und Near Field Communication (NFC) ermöglichen neue Formen der Vernetzung zwischen Unternehmen, Kunden, Mitarbeitern und anderen Stakeholdern.

Die sich daraus ergebenden Formen der Zusammenarbeit (bspw. Mobile Work) sowie Produkte und Dienstleistungen (bspw. Standortbezogene Dienste) werden unter dem Schlagwort Mobility zusammengefasst.

Ein Anwendungsfall ;-)

Stärkere Vernetzung

Abbildung 4: Arten der Vernetzung

Größeres Datenvolumen

Abbildung 5: Jährlich generierte digitale Datenmenge weltweit (Prognose), Quelle: IDC; Seagate; Statista estimates; ID 871513

VUCA

Volatilität (volatility), Unsicherheit (uncertainty), Komplexität (complexity) und Mehrdeutigkeit (ambiguity) vestärken sich zunehmend. Diese Effekte werden unter dem Synonym VUCA zusammengefasst.

  • Volatilität: die Welt verändert sich rasant. Die Veränderungen werden unvorhersehbarer, immer drastischer und immer schneller.
  • Unsicherheit: Ereignisse sind kaum vorhersehbar. Erfahrungen aus der Vergangenheit sind weniger nützlich. Planung wird immer schwieriger.
  • Komplexität: Probleme und deren Auswirkungen werden vielschichtiger und schwerer zu verstehen. Ebenen vermischen sich. Ursache und Wirkung sind nicht mehr klar zu erkennen.
  • Mehrdeutigkeit: Anforderungen sind widersprüchlicher und paradoxer. Das persönliche Wertesystem wird auf die Probe gestellt.

Übungen ✏️

Gesetzmäßigkeiten

  • Erklären Sie sich gegenseitig die drei „Gesetzmäßigkeiten“ nach Moore, Gilder und Metcalfe.
  • Finden Sie für jede Gesetzmäßgikeit ein konkretes Beispiel.
  • Überlegen Ihre Beispiele die Eigenschaften des digitalen Zeitalters (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit) aufzeigen.

Code is Law

Zum Weiterlesen: BR Interaktiv: Erhöhtes Risiko

Digitale Zeitreise

Analysieren Sie die Digitalisierung eine der foglenden Brachen über drei Zeitpunkte

Taxi-Industrie

  • 2005: Traditionelles Taxi
  • 2015: Uber-Einführung 2025:
  • Autonome Taxis (bspw. waymo)

Musik-Industrie

  • 2000: CDs, Plattenladen, Radio
  • 2010: iTunes, iPod, erste Streaming-Dienste
  • 2020: Spotify/Apple Music
  • 2025: KI-generierte Musik

Hotelgewerbe

  • 2005: Reisebüros und Hotelkette
  • 2015: Booking.com etabliert sich
  • 2025: Airbnb ist dominant

Bildung/Hochschule

  • 2005: Präsenzvorlesung, Bibliothek, Overhead-Projektor
  • 2015: E-Learning-Plattformen (Moodle), erste MOOCs
  • 2025: KI-Tutoren, automatisierte Bewertung, personalisierte Lernpfade

Schauen Sie sich jeden Zeitpunkt an und versuchen Sie folgende Fragen zu beantworten:

  • Wer schafft wie Nutzen? (Alternativ: Wer verdient wie Geld?)
  • Welche digitalen Mechanismen wirken?
  • Was sind positive und negative Effekte? (Alternativ: Wer sind Gewinner/Verlierer? Weshalb?)
  • Was können wir aus dieser Entwicklung für andere Branchen lernen?

Design Thinking

Stellen Sie sich vor: wir sind das OpenAI-Team im Jahr 2025. Wir haben SORA — ein geniales KI-Modell zur Erstellung von Videos. Aber nur wenige nutzen es aktuell. Unsere Mission: Macht SORA für ALLE zugänglich!

Wir haben 20 Minuten und müssen am Ende eine Lösung präsentieren.

Phase 1: Emphasize

Befragen Sie sich untereinander:

  • Hast du schon mal mit einem Video-Modell interagiert? Wie war das?
  • Was würdest du gerne mit einer Video-KI machen?
  • Was hindert dich daran, das SORA-Modell jetzt zu nutzen?

Identifizieren Sie drei Kernprobleme.

Design Thinking Learning

Wir starten mit VERSTEHEN, nicht mit Lösen!

Phase 2: Define

Wählt DAS zentrale Problem aus allen identifizierten Problemen.

Formuliert es als “How Might We”-Frage:

“Wie können wir __________ ermöglichen, dass __________?”

Beispiel: Wie können wir normale Menschen ermöglichen, dass sie Videos mit KI erstellen können, ohne technisches Wissen?

Design Thinking Learning

  • Die richtige Frage zu stellen ist die halbe Lösung!
  • Eine gute Problem-Definition öffnet den Lösungsraum
  • Eine schlechte Definition führt zu falschen Lösungen

Phase 3: Ideate

Brainstormt 10 verschiedene Lösungsideen!

Regeln:

  • Quantität vor Qualität
  • Keine Kritik erlaubt
  • Verrückte Ideen sind willkommen
  • Auf Ideen anderer aufbauen

Nach 4 Minuten: Wählt DIE EINE Idee aus, die ihr vorstellen wollt. Warum diese Idee?

Design Thinking Learning

  • Die erste Idee ist selten die beste!
  • Quantität erzeugt Qualität (eine von 10 wird brilliant sein)
  • Vielfalt an Perspektiven führt zu Innovation

Phase 4: Prototype

Skizziert die IDEE, die wir ausgewählt haben als Prototyp (MVP, minimum viable product).

Design Thinking Learning

  • MVP ist strategisches WEGLASSEN!
  • Schnell & einfach ist besser als langsam & perfekt
  • Ziel: Idee validieren, nicht fertiges Produkt bauen

Phase 5: Test

Analysiert einen der Prototypen (MVP, minimum viable product) und gebt Feedback

  • Was ist unklar?
  • Was würde nicht funktionieren?
  • Was fehlt unbedingt?

Leitet davon Verbesserungen ab:

  • Was ändert ihr?
  • Was fügt ihr hinzu?
  • Was nehmt ihr raus?

Design Thinking Learning

  • Feedback ist Gold, nicht Kritik!
  • Änderungen nach Testing = normal und professionell
  • User wissen oft nicht, was sie wollen - aber sie erkennen es, wenn sie es sehen

Literatur 📚

Gilder, G. (2000). Telecosm: How infinite bandwidth will revolutionize our world. Simon; Schuster.
Leimeister, J. M. (2021). Einführung in die Wirtschaftsinformatik. Springer Gabler Berlin Heidelberg.
Lemke, C., & Brenner, W. (2015). Einführung in die Wirtschaftsinformatik: Band 1: Verstehen des digitalen Zeitalters. Springer Gabler, Berlin, Heidelberg.
Lemke, C., Brenner, W., & Kirchner, K. (2017a). Einführung in die Wirtschaftsinformatik. Springer.
Lemke, C., Brenner, W., & Kirchner, K. (2017b). Einführung in die Wirtschaftsinformatik: Band 2: Gestalten des digitalen Zeitalters. Springer Gabler, Berlin, Heidelberg.
Lessig, L. (2009). Code: And other laws of cyberspace. ReadHowYouWant. com.
Moore, G. E. et al. (1965). Cramming more components onto integrated circuits. McGraw-Hill New York.

Fußnoten

  1. Der Nutzwert \(U\) des Netzwerks kann exakt mit \(U = n(n - 1) = n^2 - n\) beschrieben werden. In großen Netzwerken kann der Nutzwert mit \(U = n^2\) angenähert werden (Faustregel).